Institut für Einfachheit

Beratung nach dem Prinzip der konsequenten Einfachheit

Was bleibt von Karl und Theo Albrecht

Artikel vom 24.07.2014

Am 16. Juli starb Karl Albrecht im Alter von 94 Jahren. Zusammen mit seinem Bruder Theo, der am 24. Juli 2010 verstarb, hat er den weltweit erfolgreichsten Lebensmittelfilialisten aufgebaut. Ihr System des Hard Discounts hat die Branche revolutioniert und war Vorbild für zahlreiche andere Branchen und Unternehmen.

Karl Albrechts Tod nehmen wir zum Anlass, ein paar wesentliche Faktoren für den Erfolg von ALDI zu beschreiben. Alle diese Faktoren haben mit dem Management der Einfachheit zu tun. Was wir hier über den Erfolg von ALDI lernen, wird als Erkenntnis bester Unternehmensführung bleiben. Damit werden immer die Namen von Karl und Theo Albrecht verbunden bleiben.

Jahrelang haben Journalisten, Wettbewerber und Unternehmensberater – meist vergeblich – versucht zu verstehen, was die Grundlagen des Erfolges von ALDI sind. Was sind die Prinzipien und Methoden? Andere Unternehmen glauben, sie seien Discounter, nur weil sie niedrige Preise haben. Das Wesentliche ist für das Auge eben doch unsichtbar, wie der Kleine Prinz bei Antoine de Saint-Exupéry weise ausspricht.

Was bedeutet Discount?

Was bedeutet also Discount? Was hat ALDI da „erfunden“? Discount heißt zu allererst Weglassen. Discount ist Beschränkung.Es wird etwas von dem weggelassen, was für eine Branche bisher typisch und kennzeichnend war: der Discounter im Handel bietet nur noch einen Ausschnitt aus dem riesigen Sortiment an. Im Flugverkehr ist South-West-Airlines als Discounter bekannt geworden und wurde zu einem der erfolgreichsten Airliner. Es geht um den Mut, nicht alles zu tun. Auch auf Umsatz zu verzichten und damit die Komplexität zu reduzieren und zu beherrschen.

Einfachheit und Komplexität waren nicht von Beginn an Ziel und Gegenstand des Managements bei ALDI. Es entstand mit der Zeit, weil das Unternehmen mit gesundem Menschenverstand geführt wurde. Rückblickend lässt sich sagen, dass die Einfachheit und der Umgang mit Komplexität wesentlich für die erfolgreiche Entwicklung von ALDI war. Zwar war dieses grundlegende Konzept der Einfachheit den Führungskräften und allen Mitarbeitern bei ALDI so ausdrücklich nie im Bewusstsein bei der täglichen Arbeit. Das hat erst in der Rückschau eine in dieser Form klar und konsequent herausgearbeitete Bedeutung gefunden mit dem Buch „Konsequent einfach – Die ALDI Erfolgsstory“ (Dieter Brandes, Campus Verlag 1998).

Wie hat es ALDI gemacht?

Komplexität vermeiden

Es beginnt mit Klarheit und Verzicht.

Bei ALDI gab es immer ein klares Ziel, das auf wenigen grundsätzlichen Überlegungen beruhte und Kern des Geschäfts war:

  • ein in der Artikelzahl sehr beschränktes Sortiment,
  • Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs,
  • problemlose Waren im Hinblick auf betriebliche Bedingungen wie Logistik,
  • bestmögliche Qualitäten – im Vergleich zu führenden Markenartikeln,
  • niedrigstmögliche Verkaufspreise

Wir stellen immer wieder fest, dass klare und leicht verständliche Unternehmensziele in vielen Unternehmen nach wie vor fehlen.

Als die Albrecht Brüder nach dem Krieg ihr Unternehmen gründeten, hatten sie vermutlich viel Glück. Da ihre finanziellen Möglichkeiten begrenzt waren, konnten sie sich kein größeres Sortiment leisten. Theo Albrecht hat einmal gesagt, es sei besser von allem zu wenig zu haben: zu wenig Geld, zu wenig Mitarbeiter, zu wenig Platz. Das fördert die Kreativität, aus dem Vorhandenen das Bestmögliche zu machen. Konzentration und Sparsamkeit sind dann das Ergebnis dieser Haltung und führten bei ALDI zu den so erfolgreichen Unternehmenszielen. Als Theo und Karl Albrecht feststellten, dass das begrenzte Sortiment gut funktionierte und die Kosten so viel geringer waren als bei anderen Händlern, verwarfen sie ihre ursprünglichen Pläne eines großen Sortiments. In der Folge konzentrierten sie sich auf die tägliche Verbesserung des Vorhandenen.

Wenn klare Ziele und Prioritäten existieren, ist vieles andere unwesentlich, überflüssig. Es wird klar, was alles nicht getan werden muss. Es entsteht nichts Unnötiges. ALDI konzentrierte sich. Die guten Ergebnisse bestätigten den richtigen Weg.

In vielen anderen Unternehmen bestätigen schlechte Ergebnisse oft scheinbar, dass die Methoden und Techniken noch nicht ausgereift sind und nur durch verstärktes Controlling und genauere Planung bessere Ergebnisse herbeigeführt werden können. Auch das Verhalten von Mitarbeitern und die Führungsstile glaubt man oft verbessern zu müssen, um das Gewünschte zu erreichen. Dass dagegen die Ziele eine wichtige Voraussetzung sein können, vermutet niemand. (Ein Projekt stinkt immer am Anfang).

Komplexität reduzieren

Vielleicht ist die eigentliche Überraschung und Erfolgsformel, dass ALDI konsequent bei dieser Klarheit blieb. Viele können das bis heute nicht glauben.

„Schuster bleib bei deinen Leisten“ reduziert Komplexität. Auch bei ALDI.

Viele Artikel und Sortimente, die wir heute für unverzichtbar und selbstverständlich halten, führte ALDI lange Zeit nicht: frische Milch, Butter, Obst und Gemüse. ALDI verzichtete auf Umsatz, um seinem einmal definierten Ziel treu zu bleiben.

Aldi hat bis heute das kleinste Sortiment im Handel und betreibt auch nur eine einzige Vertriebslinie. Andere erfolgreiche wie dm, Fielmann und Deichmann machen es genauso. Andere Unternehmen im Handel betreiben unterschiedliche Vertriebslinien, Autohersteller „sammeln“ Marken, Hersteller von Elektrogeräten machen alles von der Kaffeemaschine, über den Toaster, bis hin zum Fernseher und zur Glühlampe.

Wenn diese Unternehmen erfolgreich sind, dann nicht wegen, sondern trotz dieser Vielfalt.

Komplexität beherrschen

Natürlich bedeutet das klare Ziel nicht, dass eine Weiterentwicklung des ALDI Systems ausgeschlossen ist. Auch bei ALDI wurden selbstverständlich die Entwicklungen auf den Märkten und die Verbrauchergewohnheiten beobachtet. Es gibt einen Trend zu mehr Frische- und zu Bioprodukten, neuerdings zu veganen Sortimenten und Fairtrade. Verpackungstechniken und Beschaffungsmöglichkeiten ändern sich. Auch ALDI musste sich mit der Zeit entwickeln. ALDI begann als Dosenladen und verkauft heute Lachs und Champagner.

Aber eine solche Weiterentwicklung erhöht eindeutig die Komplexität. Beim Management der Einfachheit sind wir vorsichtig, neue Elemente hinzuzufügen. Neue Artikel bedeuten mehr Elemente, mehr Verbindungen. Möglicherweise kommt ein neuer Lieferant hinzu. In der Kühlung muss Platz sein für diesen neuen Artikel. Ein anderer Artikel gibt Platz ab. Die Haltbarkeit des Artikels muss berücksichtigt werden. Und anderes mehr.

Neue Beschaffungsmöglichkeiten und Qualitätskontrollen erhöhen ebenfalls die Elemente des Systems. Das muss berücksichtigt werden bei der Weiterentwicklung. Alles muss entwickelt, verfolgt, miteinander verbunden werden und erhöht so die Summe der Beziehungen der Elemente und damit weiter die Komplexität.

Was tat ALDI, um diese mit der Entwicklung wachsende Komplexität zu beherrschen?

Zunächst ein Beispiel:

Bis vor etwa dreißig Jahren führte der „Dosenladen ALDI“ kein Obst und Gemüse. Der Geschäftsführer in der Niederlassung Seevetal bei Hamburg machte einen Versuch. Er testete in wenigen Läden den Verkauf von Äpfeln. Nur Äpfel! Kein ganzes Sortiment. Ein Artikel! Als das funktionierte, also auch die Logistik, Frische und Qualität beherrscht wurden, weitete er den Apfel-Test auf alle seine etwa 80 Läden dieser einen ALDI-Region aus. Auch hier verfolgte er die Funktionsfähigkeit der Systeme. Danach fasste er sich ein Herz und fügte Orangen und später Bananen hinzu. Seine Geschäftsführerkollegen und der Verwaltungsrat wussten natürlich von seinem Versuch und beobachteten aus der Ferne. Mit diesem Modell erschien er schließlich auf einer Geschäftsführerbesprechung und empfahl die Aufnahme dieser neuen Artikel in der gesamten ALDI-Gruppe. Die Weiterentwicklung bis hin zu Kiwis und Mangos können wir heute beobachten.

Wie war das möglich? Der wahre Grund liegt in der Organisation.

Der genannte ALDI-Geschäftsführer hatte wie auch alle seine Geschäftsführerkollegen die Freiheit, ein beschränktes regionales Sortiment zu führen. Darüber konnte er allein entscheiden. Er musste nicht den Verwaltungsrat oder eine zentrale Fachabteilung vorher um Genehmigung fragen.

ALDI arbeitete nach der Organisationsform der Dezentralisation und Delegation. Danach werden Entscheidungen nach unten und möglichst weit vor Ort verlagert, und zwar an die Stellen, die damit praktisch und täglich umzugehen hatten, in die verantwortliche Linienorganisation. Bei ALDI gab es niemals irgendwelche Stabsstellen dafür.

Zum Prinzip der Dezentralisation gehört das Mittel des Vertrauens. Die Geschäftsführer genossen das Vertrauen der Unternehmensleitung und des Inhabers, dass sie ihren Job beherrschten und immer das Bestmögliche erreichen wollten und konnten, dabei aber verantwortungsbewusst mit ihren Möglichkeiten umgingen. Regelmäßige und sorgfältige Kontrollen ihrer Arbeit bestätigten dieses Vertrauen immer wieder oder sorgten manchmal für wichtige Korrekturen.

Die weitere so erfolgreiche organisatorische Methode für Entwicklung ist die Methode von Versuch und Irrtum. Der Geschäftsführer in Seevetal hat etwas ausprobiert, die Prozesse begleitet, beobachtet, kontrolliert und angepasst, bis das gesamte System gut funktionierte und auch im Sinne des Geschäftsmodells (siehe oben) effizient war. Also bis Qualitäten, Preise, Kosten und Arbeitsabläufe „stimmten“.

Der Geschäftsführer hatte das Vertrauen seines Arbeitgebers und nutzte seinen Mut im Rahmen seiner organisatorischen Kompetenzen. Ein Beispiel für alle.

ALDI hat seine Komplexität immer beherrscht und die Unternehmensentwicklung mit den folgenden organisatorischen Elementen vorangetrieben:

  • Dezentralisation,
  • Linienverantwortung statt Stabsstellen,
  • Versuch und Irrtum,
  • Vertrauen und Mut,
  • Verantwortung und Kontrolle.

Theo und Karl Albrecht haben aus ihren anfänglichen Versuchen gelernt, immer wieder Neues ausprobiert und es nur und erst dann in die Praxis umgesetzt, wenn sie Komplexität beherrschten.

Das Ergebnis: ALDI ist durch Weglassen und Konsequenz (und ohne Customer Relationship Management, Datawarehouse und ohne Marktforschung) zum erfolgreichsten Lebensmittelfilialisten auf der Welt geworden.