Die Anmaßung der Vernunft: Wieder Fehler beim Zentral-Abitur
Artikel vom 14.04.2013Auch dieses Jahr gibt es wieder Aufregung, weil erneut Pannen beim Zentral Abitur passierten. Das NRW Schulministerium hat auch in 2013 wieder die falschen Aufgaben auf den Server hochgeladen.
Was hat das mit dem Management der Einfachheit zu tun? Die Arbeitsweise des Ministeriums entblößt gewaltige Unkenntnis darüber, wie – vor allem große – Institutionen arbeiten und zu führen sind. Führungskräfte wie auch Minister brauchen in der heutigen Welt ein fundiertes Wissen über die Funktionsweisen komplexer sozialer Organisationen. Wie ist ein komplexes Gebilde zu gestalten wie das Schulsystem mit Ministerium, Schulen, Lehrern und Schülern mit dem Ziel, dass es zunächst einmal funktioniert und dann auch noch effizient arbeitet?
Ein entscheidender und hilfreicher Imperativ für die Steuerung komplexer Organisation ist:
Mache so viel wie eben möglich dezentral und nur das Notwendige und wirklich Sinnvolle zentral.
Da darf man an einer zentralen Vorgehensweise seine Bedenken haben. Wissen wir doch alle, dass zentrale Fehler große Fehler sein können, während Fehler in einer dezentralen Struktur jeweils kleine Konsequenzen haben, die in der Regel auch dezentral und damit schnell zu beheben sind. Zudem werden Fehler in einer kleineren dezentralen Einrichtung eher sichtbar; und ihr Entstehungsort kann leichter lokalisiert werden.
Es helfen die Prinzipien des Managements der Einfachheit weiter: Autonomie und Verantwortung, Dezentralisation und Delegation.
„Die Anmaßung der Vernunft“
Friedrich von Hayek beschrieb damit die Illusion des Menschen, mit genügend Aufwand alles in beliebigem Detail unter Kontrolle bringen zu können. Der Mensch glaube fälschlicherweise an die im Prinzip unbeschränkte Machbarkeit und Planbarkeit aller Dinge und Lösbarkeit aller Probleme.
Die alljährlichen Pannen beim Zentral-Abitur bestätigen diese Illusion.
Die Zentrale muss verzichten
Es wird Zeit, sich von diesem Irrglauben zu lösen und sich „in der Zentrale“ auf die Richtlinien, die grundsätzlichen Prinzipien und Leitplanken einer Organisation zu konzentrieren. Diese zu entwerfen und dann die Einhaltung und Funktionsweise in den dezentralen Einheiten zu kontrollieren – das ist zeitgemäßes Management in einer komplexen Welt. Dazu ist
Verzicht ist nötig. Der einheitliche Qualitätsstandard des Abiturs wird nicht durch die zentrale Vorgabe gleicher Aufgaben gewährleistet, sondern durch die zu absolvierenden Lehrpläne und zu prüfenden Kenntnisse sowie durch die Ausbildung und Auswahl geeigneter Lehrer.
Zentral oder dezentral?
Fassen wir anhand dieses Beispiels zusammen:
Dezentralisation reduziert Risiken:
Ein dezentraler Fehler macht nicht an allen Schulen die komplette Prüfung zunichte. Kleine dezentrale Fehler sind einem großen vorzuziehen. Also lieber in drei Schulen ein Fehler in einer Aufgabe, der vor Ort durch Lehrer und Schüler korrigiert werden kann, als ein Fehler in der Zentrale, der möglicherweise alle Schulen betrifft.
Dezentralisation hilft bei der Eingrenzung und Korrektur von Fehlern:
In einer dezentralen Struktur sind Fehler und vor allem ihre Ursachen schneller erkannt. Es gibt einen direkt Verantwortlichen. Das durch den Fehler gestörte System ist überschaubar: ein Lehrer, der die Aufgaben stellt und die Aufgaben gemäß Lehrplan selbst entwickelt hat. Eine überschaubare Anzahl Schüler. Der Lehrer befindet sich in der Nähe. Das bedeutet kurze Wege der Klärung und Korrektur. Ein Merkmal der Zentralisation ist immer wieder, dass die Fehlerursache erst einmal gefunden werden muss. Es heißt „das Ministerium“…. Zu viele Elemente spielen eine Rolle. Mehrstufige Entscheidungswege und Kontrollmechanismen machen die Sache unübersichtlich. Ein Verantwortlicher ist nicht zu erkennen.
Dezentralisation erlaubt schnelle und unbürokratische Korrektur:
Wenn in einer dezentralen Einheit ein kleiner Fehler passiert, so lässt sich dieser in der Regel durch den vor Ort Verantwortlichen schnell in Ordnung bringen. Der Lehrer regelt das unkompliziert mit seinen Schülern. Ein zentraler Fehler stellt meistens die Zentrale vor eine überraschende neue Situation und die Frage, wie diese unter Kontrolle zu bringen ist. Allein die Kommunikation ist schon herausfordernd. Es sind viele Schüler zu informieren, eine Nachschreibklausur muss her. Welche Klausur ist zu bewerten? Die bessere? Die zweite? Es kommt leicht zu einer „Verschlimmbesserung“.
Dezentralisation führt zu besseren Ergebnissen:
Die Zentrale, also das Ministerium, muss sich auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren, nicht die Steuerung vieler unübersehbarer Elemente versuchen. Das führt zu Konzentration. Welche Ziele verfolgt das „Unternehmen Schule“. Welche grundlegenden Themen gibt es. Welche Vorgaben und wesentlichen Maßnahmen sind zur Erreichung der Ziele notwendig? Wie wird Kontrolle ausgeübt, um Zielerreichung und Schwachstellen zu erkennen und zu verbessern?
Dezentralisation reduziert Kosten:
Um die möglichen größeren Risiken zu vermeiden, wurde vom Ministerium im letzten Jahr in Unkenntnis systemischer Zusammenhänge einfach nur der Kontrollaufwand erhöht. Das kostete letztes Jahr 500.000 Euro für den sogenannten „Abi-TüV“ und weitere Kosten in der Administration im Ministerium. Wo war der Abi-TüV in diesem Jahr? Dieses Jahr wurden in NRW Abiturklausuren in Erdkunde und Kunst per Post zugestellt, weil die heruntergeladenen Klausuren farbige Darstellungen enthielten. Diese in den Schulen herunter zuladen und zu kopieren, wäre für die Schulen zu teuer gewesen.
Dezentralisation braucht Kontrolle und Vertrauen:
Statt sich Tätigkeiten zentral anzumaßen, muss sich das Ministerium immer wieder von der Qualität seiner Lehrer und ihrer Leistungen überzeugen. Das dezentrale Lernen in den Schulen setzt Vertrauen in die Arbeit der Lehrer voraus. Durch regelmäßige Kontrollen muss sich das Ministerium stets davon überzeugen, dass die gewünschte Leistung vor Ort erbracht wird. Gegebenenfalls wird korrigiert und die Leistung verbessert.
Das Zentralabitur in NRW ist beispielhaft dafür, dass in den Institutionen und unter ihren Führungskräften die Kenntnisse über Komplexität fehlen und damit zu mehr oder weniger schlimmen Folgen für diejenigen führen, die mit diesen Institutionen zu tun haben. Ohne Kenntnisse über die Wirkungsweise und Voraussetzungen für eine funktionierende und effiziente Lenkung von sozialen Systemen sind Ziele nicht zu erreichen und können die Aufgaben von Institutionen und Bedürfnisse von Bürgern, Schülern, Kunden und Mitarbeiter nicht mehr mit Respekt und Erfolg bedient werden.
Noch einmal der Grundsatz für zentral und dezentral: so viel wie möglich dezentral. Zentral nur dann, wenn notwendig und sinnvoll.