Kann Lufthansa auch Discount?
Artikel vom 17.05.2012Die Lufthansa hat kürzlich angekündigt, eine Billigfluglinie ins Leben zu rufen. Sie soll den Hard Discountern im europäischen Luftraum, vor allem Easyjet und Ryanair, Paroli bieten.
Interessanterweise sind erfolgreiche Hard Discounter allesamt Unternehmen mit nur einer Vertriebslinie – egal in welcher Brache. Und jedes Mal haben die Discounter die gewohnten Regeln ihrer Branche auf den Kopf gestellt. In der Luftfahrt sind das Ryanair und Southwest Airlines. Im Lebensmittelhandel sind das vor allem ALDI und BIM. Biedronka (ebenfalls wie BIM vor zehn Jahren in Polen von Dieter Brandes organisatorisch und strategisch am Aldi-Konzept ausgerichtet) ist eine Ausnahme; sie werden von Jeronimo Martins mit maximaler Autonomie mehr gelassen als geführt. Und Lidl und Kaufland sind weitgehend getrennt, wobei man von Lidl weiß, dass die Ergebnisse bei weitem nicht so gut sind wie die von ALDI. Auch Ikea ist ein Discounter und hat den Möbelhandel revolutioniert.
So begibt sich die Lufthansa also auf für sie völlig unbekanntes und gefährliches Terrain.
Wir fragen uns:
- Wird Lufthansa der Discount Vertriebslinie den nötigen Freiraum gönnen, der nötig ist? Oder glaubt man an sogenannte Synergien?
- Wird Lufthansa nur eine Billigfluglinie gründen, die auf Preisführerschaft Wert legt? Oder weiß man, welche Möglichkeiten Discounter haben, auch in Sachen Qualität zu punkten. In Bezug auf Qualität denken wir an Sicherheit, Pünktlichkeit, Flugplan, Einfachheit bei Buchung, am Flughafen, beim Boarding und an Board.
- Ist man bereit, den Zentraleinkauf vollständig zu trennen?
- Ist man bereit zu maximaler Dezentralisation und Verantwortung in der Linie? Dazu gehört unbedingt eine völlig getrennte Organisation. Das bedeutet eigene Rechtsform, eigene Führung, Vorstand, eigene Verwaltung mit Rechnungswesen und Personalpolitik.
- Oder wird lieber immer alles in der „Holding“ entschieden, weil man glaubt, dass da ja die vielen Experten sitzen? Wird Kreativität zu ihrer Unternehmenskultur gehören? Die entsteht durch Dezentralisation, durch Versuch und Irrtum, durch eher kleinere als große Einheiten, durch Delegation und Autonomie.
- Kann die Lufthansa Sparsamkeit oder gar Askese? Die meisten Hard Discounter sind Familienunternehmen, die zwar außerordentlich gut bezahlen, aber ungern Geld ausgeben, sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und davon nicht ablenken lassen. Sie haben meistens ihre Büros in bescheidenen, funktionalen Bürohäusern. Die Sparsamkeit ist ihnen angeboren. Sie beschreiben manchmal das Papier auf beiden Seiten, bedrucken es eng, machen immer das Licht aus oder gar nicht erst an, vermeiden Spielereien wie Power Point oder haben auch schon mal gar keinen PC auf dem Tisch des Managers. Und: Gute Discounter setzen eher auf konventionelle Methoden und einfache organisatorische Lösungen und glauben nicht so sehr an den Segen der aufwendigen Informationstechnologie.
- Wird man den Flugplan ausrichten müssen an den Langstreckenflügen der Lufthansa und Zubringerdienste erfüllen. Oder darf die neue Gesellschaft ohne Rücksicht darauf ihr eigenes Konzept verfolgen?
- Ein Discounter übt Verzicht. Verzicht auf Branchenübliches. Ein wahrer Discounter ändert die bekannten Regeln einer Branche. Was bedeutet das für den Billigkranich? Was wird er anders machen? Gibt es einfach nur kein Essen und keine Getränke an Board und schlechter bezahltes Personal? Sehr oft zahlt ein Hard Discounter sogar besser als die Wettbewerber aus seiner Branche, weil er sich das aufgrund seiner höheren Produktivität gut leisten kann.
- Das schafft man durch Konzentration und durch Weglassen. Ein Hard Discounter weiß, mit Komplexität umzugehen. Der Umgang mit Komplexität führt dazu, dass die Kosten in allen Bereichen niedrig sind, die Produktivität jedoch sehr hoch. Verzicht bedeutet auch, nicht alles machen, was „nice to have“ ist. Nur das Essentielle.
- Ein Beispiel dafür könnte sein, sich von üblichen Marketingmethoden zu verabschieden und nicht in Schablonen und Schubladen zu denken, sondern ohne Marktforschung oder Kundenumfragen. Heute fliegt jeder: der Urlauber, der Manager, der Selbständige und die Tante zum Familienfest. Der niedrigste Preis (auch im Vergleich zu Bahn und Auto) – bei bestmöglichem Service, gutem Komfort und maximaler Sicherheit. Jeder ist potentieller Kunde. Der niedrigste Preis würde sich so schnell herumsprechen, dass man auf klassische Werbung sogar weitgehend verzichten könnte.
- Schließlich bedeutet Verzicht auch Verzicht auf Meilenprogramm und die damit verbundene Meilenbürokratie. Dazu gehört, dass man nicht höhere Ticketpreise zu erzielen versucht, indem der Kunde nebenbei noch Meilen sammelt und so bei seinem Arbeitgeber höhere Reisekosten verursacht. Hard Discount ist Konzentration auf das Produkt. Ein Hard Discounter hat einen grundehrlichen Preis. Ein Preis, der auch über die Zeit konstant ist (Dauer-Niedrigpreis) und nicht nach Angebot und Nachfrage und mathematisch-wissenschaftlichen Analysen dauernd verändert wird. Für gleiche Strecken bei der Lufthansa kennen wir heute Preise von 200 oder gar 800 Euro.
Möglicherweise basiert die Gründung der Billigfluggesellschaft der Lufthansa auf einem Irrtum. Man liest von hohen Personalkosten. Harter Wettbewerb durch Billigairlines. Aber: Personalkosten sind ein Spiegel der Organisation und der Produktivität.
Entscheidend ist vielmehr das Geschäftsmodell. Hard Discount ist mehr als nur Personalkosten sparen und günstige Preise anbieten. Wenn man von Southwest Airlines hört, dass sie nur 15 Minuten benötigen, um ein Flugzeug abzufertigen und wieder zur Startbahn zu schicken, dann bekommt man eine Ahnung davon, was Produktivität ist. Personalkosten sind folglich nur relativ! Auch weiß man von Southwest Airlines, dass sie immer konsequent auf Preisführerschaft gesetzt haben.
Die Lufthansa wird es aus zweierlei Gründen besonders schwer haben: sie ist nicht erster in ihrer Branche und sie ist kein Ein-Sparten-Unternehmen. Sie hat keine Ahnung vom Hard Discount. Ganz im Gegenteil: Wer glaubt, 3.500 Mitarbeiter zu viel in der Verwaltung zu haben, der weiß nicht, was Hard Discount oder Billigairline ist. Der ist ein Sanierungsfall. Was haben diese 3.500 Mitarbeiter bisher in der Verwaltung eigentlich Überflüssiges bearbeitet, das man plötzlich nicht mehr braucht?