Das Bundesfinanzministerium bleibt ignorant
Artikel vom 09.05.2007Unverständnis im Bundesfinanzministerium – die anderen sind schuldig
Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Dr. Barbara Hendricks, schrieb als Autorin am 27. März 2007 einen Artikel in der Financial Times Deutschland unter dem Titel „Vereinfachen ist schwierig“
Ihre Kernaussagen waren – wörtlich:
- Sie (die Politiker, tatkräftig unterstützt von den Beamten des Bundesfinanzministeriums und allen Finanzämtern dieses Landes) stehen unter Generalverdacht, in einem geradezu wahnhaften Perfektionismus und ohne erkennbares Konzept alles zu regeln, was sich irgendwie gesetzlich regeln lässt…Doch Wirklichkeit und Vorurteil haben wenig miteinander zu tun.
- …dennoch ist das deutsche Steuerrecht eine fast konkurrenzlos komplexe Materie.
- …schließlich können komplizierte Sachverhalte nicht immer einfach geregelt werden, so wünschenswert das auch ist.
- Die Kritik am Gesetzgeber durch überforderte Steuerzahler ist verständlich. Jedes Verständnis aber fehlt mir dafür, dass auch diejenigen auf den Zug der Politikerschelte aufspringen, die zu differenzierterer Betrachtung in der Lage sein müssten und die selbst einen gehörigen Anteil am Zustand des Steuerrechts haben: Verbände und Unternehmen reden einer Vereinfachung das Wort, beanspruchen für sich selbst aber jede denkbare Ausnahme- und Sonderregelung. Richter, insbesondere an den Finanzgerichten, rügen die Konzeptionslosigkeit und hohe Schlagzahl der Steuergesetze und unterschlagen dabei gern, dass es häufig genug die eigene Rechtsprechung ist, die den Gesetzgeber zwingt, das Steuerrecht zu ändern.
- Um das Steuerrecht endlich zu vereinfachen, müssen alle Ebenen ihren Beitrag leisten: Die Steuerzahler sollten sich von der Erwartung verabschieden, der Gesetzgeber könnte und müsste noch das winzigste Detail eines jeden individuellen Steuerfalls gesetzlich regeln.
Ich schrieb der Staatssekretärin daraufhin am 3. April 2007 den folgenden Brief, den sie bis zum 9. Mai 2007 allerdings nicht beantwortet hat:
Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks,
Ihre Behauptung, dass Wirklichkeit und Vorurteil (wahnhafter Perfektionismus, alles zu regeln…) wenig miteinander zu tun hätten, kann ich nicht verstehen. Sie sagen selbst, das deutsche Steuerrecht sei eine fast konkurrenzlos komplexe Materie. Sie haben nicht Recht mit dem Gedanken, dass komplizierte Sachverhalte nicht immer einfach geregelt werden können. Wenn man vorher die Sachverhalte tiefer untersucht, und sie – übrigens auch mit ein wenig Mut – auf ihren Wesensgehalt reduziert, können sie meistens einfacher geregelt werden.
Sie beklagen die von Verbänden und Unternehmen beanspruchten Ausnahme- und Sonderregelungen. Bleiben Sie doch standhaft und folgen Sie als Regierung und Gesetzgeber nicht all diesen Wünschen. Sie klagen über die Richter. Wenn aber selbst der Präsident des Bundesfinanzhofes die Unverständlichkeit von Gesetzen beklagt, so sollte doch zunächst einmal der Gesetzgeber seine Arbeitsweise überprüfen. Schließlich geht es nicht darum, was Steuerzahler alles an „gesetzlichen Regelungen für jeden individuellen Steuerfall erwarten“, sondern darum, was der Gesetzgeber vernünftigerweise regeln will. Das muss er entscheiden und dem Bürger anbieten.
Keines Ihrer Abwehrargumente passt – als kleines Beispiel – zum Thema Abzugsfähigkeit von Handwerkerrechnungen in Privathaushalten. Warum musste die Bundesregierung, die nach dem Koalitionsvertrag ja das Steuerrecht vereinfachen wollte, als eine ihrer ersten Taten in wahnhaftem Perfektionismus und ohne erkennbares Konzept dieses Gesetz erfinden? Abgesehen vom fragwürdigen Sinn des Gesetzes wird allein schon die Trennung von Lohnkosten und Materialkosten dem Vorwurf der Perfektionierung gerecht. Sind die Finanzbehörden in der Lage, die korrekte Aufspaltung in den Haushalten zu kontrollieren, oder können die Handwerker Verschiebungen vornehmen? Werden Sie dazu neue intelligente Datenbanken mit vielen Erfahrungswerten aufbauen?
Nein, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, das Problem liegt bei den verantwortlichen Politikern und ihren Spitzenbeamten. Klarheit und Mut zeigen den Weg.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Brandes
Schlussfolgerung:
Die Staatssekretärin und möglicherweise das gesamte Ministerium hat keine Vorstellung von Wesen und Bedingungen der Einfachheit. Deshalb fahren sie fort in der Erfindung komplexer Regelungen. Ich schrieb, Klarheit und Mut würden den Weg zeigen. Frau Dr. Hendricks fand nicht einmal den Mut, auf meinen Brief zu antworten. Aber ich verstehe auch, dass sie sich nicht mit jedem Bürger auseinandersetzen kann.