Institut für Einfachheit

Beratung nach dem Prinzip der konsequenten Einfachheit

Die Deutsche Bahn pflegt Komplexität

Artikel vom 30.10.2002

Ab Dezember 2002 gibt es bei der Bahn ein neues Preissystem. Eine Expertengruppe hat offenbar viele kluge Überlegungen angestellt, um für die Bahn ein Optimum zu gestalten. Nicht bekannt ist, in welchem Maß sich Computersimulationen und gesunder Menschenverstand als streitende Kontrahenten gegenüber standen. Manches erscheint zweckmäßig, manches fraglich, vieles kompliziert, nichts einfach.

An nur 2 kleinen Beispielen wird deutlich, dass es einfachere Lösungen gibt:

Rabatte bei Buchungen vor Fahrtantritt:

Bei Buchung 1 Tag vor Fahrtantritt gibt es einen Rabatt von 10 Prozent, bei 3 Tagen vorher 25 Prozent, bei 7 Tagen vorher 40 Prozent. Eine Vereinfachung wäre es, wenn ein Rabatt für nur zwei Möglichkeiten angeboten würde, etwa für 2 und 7 Tage vorher. Mit drei Varianten wollte man sicherlich weiter optimieren und perfektionieren. Komplexität wird verringert, wenn die Anzahl der Elemente reduziert wird.

Stornogebühr bei Buchungsänderungen:

Bis zu 45 EUR (am Reisetag) muss der Reisende als Sanktion zahlen, wenn er nicht den gebuchten Zug nutzen will. Damit will die Bahn Luftbuchungen vermeiden. Die Bahn misstraut ihren Kunden und nimmt an, dass diese vor lauter Lust Luftbuchungen vornehmen würden. Die Bahn erwägt nicht die Möglichkeit, dass dringende Gründe im Normalfall zu solchen Änderungen führen. Sie testet nicht, in welchem Umfang solche Stornierungen vorkommen können, also ob es sich um ein relevantes Thema handelt. Aldi hat die Erfahrung gemacht, dass Kunden die großzügige Abwicklung von Reklamationen nicht ausnutzen. Die Bahn hat kein Vertrauen in ihre Kunden. Vertrauen aber ist ein wichtiges Mittel zu Reduktion von Komplexität (Niklas Luhmann).

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zitiert am 20. Oktober 2002 den Berliner Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann mit seinem Hinweis auf die Tarife des französischen TGV. Dort gibt es eine einfache Preispolitik, die sich ausschließlich orientiert an der jeweiligen zeitlichen Nachfrage nach Plätzen. Freitags nachmittags ist es teurer als spät am Abend. Und drei Farben auf dem Fahrplan zeigen, welcher Zug günstig oder teuer ist. Unabhängig von der Zweckmäßigkeit solcher Preispolitik, das ist ein einfaches System.

Schlussfolgerungen:

Mit einem klaren Blick zum Wesentlichen, nämlich dem Nutzen des Kunden und natürlich unter Beachtung wesentlicher Elemente ihrer eigenen Ertragspolitik und einer Beeinflussung der Zugauslastungen hätte die Deutsche Bahn ein einfacheres System küren können. Klarheit darüber hätte den Verzicht auf zu viel Vielfalt, auf zu viele Differenzierungen und auf scheinbar perfekte Optimierungen ermöglicht. Am Anfang muss der Nutzen für den Kunden stehen, dann sollte man überlegen, wie das in Einklang mit anderen Zielen und Möglichkeiten des Unternehmens gebracht werden kann. Erst Klarheit – dann Verzicht.